Zunächst eine kurze Begriffsklärung: Der Begriff “Radiästhesie” leitet sich vom lateinischen Wort “radius” für “Strahl” sowie dem griechischen Begriff für “Empfindung” – “aísthesis” – ab. Übersetzt würde das eine erhöhte Empfindsamkeit für Strahlen ergeben.
Genau darum geht es bei der Radiästhesie, um das Erspüren feinstofflicher Schwingungen oder Abstrahlungen. Diese können jedoch mit den bekannten physikalischen Messgeräten nicht wahrgenommen werden. Genau deswegen ist die Radiästhesie umstritten.
Alles, was nicht den derzeit geltenden wissenschaftlichen Paradigmen und Standards genügt, wird als Unsinn abgetan. Wer sich mit Pendel und Wünschelrute aufmacht, nach Strahlungen von Wasseradern oder Erdstrahlen zu suchen, macht sich in den Augen von Wissenschaftlern lächerlich.
Das hindert aber die Menschen nicht, die mit solchen Instrumenten arbeiten. Sie glauben weiterhin an die Existenz von Feinstofflichkeit. Möglicherweise zu Recht. Wie wir alle wissen, hat die Wissenschaft ihr starres Weltbild schon oft neuen Erkenntnissen anpassen müssen.
Feinfühlige Menschen gab es wahrscheinlich schon immer. Ein gewisser Moritz Benedikt, seines Zeichens Professor in Wien, hatte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Wünschelruten experimentiert. Auch weitere Rutengänger könnte es gegeben haben. Ob und wann die erste Wünschelrute zum Einsatz kam, ist heute aber nicht mehr nachvollziehbar.
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Spätestens im späten Mittelalter nutzten feinfühlige Menschen gleichförmig gegabelte Haselnuss- oder Weidenzweige zum Ermitteln von Wasseradern für den Brunnenbau. Sie suchten nach Bodenschätzen. Fakt ist, dass zwei französische Provinzpfarrer namens Abbé Alexis Timothée Bouly und Abbé Mermet Ende des 19. Jahrhunderts für einen wahren Boom des Pendelns sorgten. Zur europaweiten Massenbewegung wurde das Pendeln, weil die beiden Provinzpfarrer postulierten, man könne Pendel als präzises diagnostisches Instrument nutzen.
Bereits 1929 wurde das Konzept unterirdischer Wasseradern und Erdstrahlen als mögliche Störfelder für die Gesundheit entwickelt – durch einen deutschen Naturforscher, den Freiherrn von Pohl. Die Existenz von Globalgitternetzen erweiterte das Spektrum der Radiästheten in den Fünfzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts.
Der erste “Entdecker” war Siegfried Wittmann. Wittmann befasste sich nachweislich zwischen 1945 und 1950 mit dem globalen Gitternetz. Doch Wittmanns Name wurde später unerwähnt gelassen. Stattdessen wurden ähnliche Erkenntnisse eines Manfred Curry namensgebend für das Globalgitternetz. Das Hartmann-Gitter wird seither oft als Currygitter bzw. Curry-Netz bezeichnet.
Dem Hartmann-Gitternetz wurde später das Benker-Kubensystem als übergeordnete Instanz zugeordnet. Selbst unter Radiästheten ist umstritten, in welcher Weise und ob überhaupt solche Gitternetze dem Menschen gesundheitlich schaden. Alternative Heilbehandler nutzen Rute und Pendel bis heute in verschiedenen diagnostischen Kontexten.
In der Moderne werden aber statt des y-förmigen Wünschelruten-Klassikers gerne Einhand-Wünschelruten in Form eines dünnen Metallbogens eingesetzt. Alternativ werden Drahtgestelle eingesetzt, die in Y oder V-Form gebogen sind. Heute suchen die Wünschelrutengänger eher nach störenden Erdstrahlen als nach Bodenschätzen.
So gesehen, ist die moderne Radiästhesie sowohl eine geologische, als auch eine medizin-diagnostische Disziplin. Ihre Verfechter gehen davon aus, dass Wasseradern oder blockierte Körpermeridiane die Gesundheit belasten. Wasseradern und Gitternetze stören demnach den Schlaf. Sie sorgen für Konzentrationsstörungen, mangelnde Libido oder Depressionen. Blockierte Meridiane können Organe erkranken lassen oder den Fluss der Lebensenergie hemmen. Auch die Aura oder gestörte Chakren “muten” die Rutengänger und Pendler.
Die moderne Wünschelrute wird “Biotensor” oder “Energiesensor” genannt. Sie ist oft eine Einhandrute. Diese besteht meist aus einem Kork-, Holz- oder Metallgriff und einer 15 bis 40 Zentimeter langen Stahlfeder. An deren Spitzen sind eine Stahlkugel, eine Edelstahlkugel oder ein verschiebbarer Metallring zu finden. Die Rute ist nach allen Seiten biegsam. Wie das Pendel auch, muss sie vor der Benutzung “codiert” werden. Nur so können die Ausschläge der Wünschelrute nach rechts, links, oben oder unten richtig interpretiert werden.
Die medizinische Radiästhesie ist unter Wissenschaftlern ebenso umstritten wie die mentale Radiästhesie. Die Wissenschaft sieht ihre Forschungen als empirisch nachweisbar, eindeutig im Ergebnis und theoretisch untermauerbar an. Über die Wirkung der Radiästhesie wurden bereits viele Untersuchungen nach derzeit geltenden wissenschaftlichen Paradigmata durchgeführt.
Am Ende steht immer dasselbe Urteil: Pendeln und Wünschelrutengehen sind blanker Unsinn. Weder existiert der Wissenschaft zufolge so etwas wie Feinstofflichkeit, noch können feinfühlige Menschen durch Pendel und Rute Strahlung oder Bodenschätze nachweisen.
Schlagen Pendel und Rute aus, ist dies den Forschern zufolge dem Willen dessen geschuldet, der diese Instrumente in Händen hält. Das Ergebnis beider ist also manipulativ. Allerdings gesteht man den Pendlern und Wünschelrutengängern zu, nicht absichtsvoll betrügen zu wollen.
Vielmehr seien es unbewusste Bewegungen, die das Pendel ausschlagen lassen. Um das zu belegen, wurden zwei erklärende Begriffe etabliert: der Carpenter-Effekt und das Kohnstamm-Phänomen. Als Carpenter-Effekt wird eine irgendwo wahrgenommene Bewegung unbewusst auf das Pendel oder die Zweihand-Wünschelrute umgesetzt. Das klingt etwas dürftig, ist aber nachweislich so.
Das Kohnstamm-Phänomen – auch Kohnstamm-Effekt genannt – beschreibt eine unwillkürliche muskuläre Anspannung, die aufgrund hoher Konzentration entsteht. Sie entlädt sich dann in unbewussten Bewegungen. Diese setzen das Pendel oder die Rute in Bewegung.
Wegen dieser Effekte seien die Pendel-Diagnosen und die Ausschläge einer Wünschelrute in ihrer Aussagekraft nicht glaubwürdig. Beide Verfahren werden daher von der Wissenschaft als unseriös gebrandmarkt. Ob Konstamm-Phänomen und Carpenter-Effekt stimmige Erklärungen für ein ausschlagendes Pendel sind, soll hier nicht untersucht werden.
Auch die Erdstrahlung oder andere Phänomene, die von Radiästheten in den Fokus gestellt werden, werden von Wissenschaftlern in Bausch und Bogen in das Reich der Fantasie verbannt. Ausnahme: Wenn eine mess- und nachweisbare Auswirkung von ionisierenden oder nicht-ionisierenden Strahlen auf einen Organismus vorliegt.
Das zu beweisen, würde man dann aber nicht der Radiästhesie zuordnen. Ungeachtet dessen sehen sich auch Radiästheten einem wissenschaftlichen Anspruch verbunden. Sie werden dennoch oft den Para- oder den Pseudowissenschaften zugeordnet. Damit werden vermeintlich wissenschaftliche Thesen, Methoden, Praktiken und Erkenntnisse bezeichnet, die nur den Anschein von Wissenschaftlichkeit haben.
Nach den Paradigmen der “echten” Wissenschaft sind diese Erkenntnisse und Theorien empirisch weder nachweisbar noch haltbar. Die Wissenschaft scheut sich allerdings, geeignetere wissenschaftliche Untersuchungen für die Existenz von Erdstrahlen und dergleichen zu entwickeln. Man verweist auf die bestehenden Untersuchungen mit negativen Ergebnissen, und ignoriert solche Themen einfach.
Üblicherweise unterteilt sich die Radiästhesie in die Teilbereiche physikalische und mentale Radiästhesie. Im Bereich der physikalischen Radiästhesie werden beispielsweise Metalle und mineralische Substanzen, aber auch Lebewesen oder Pflanzen untersucht. Außerdem wird nach
Zum letztgenannten Bereich gehören die sogenannten Hartmann-Gitter, das Curry-Netz sowie geologischen Verwerfungszonen, die mit hohen ionisierenden Strahlungen auffallen. Solchen physikalischen Phänomenen und Objekten werden unsichtbare Schwingungen zugeordnet.
Tatsächlich befindet sich alles auf Erden existierende in Schwingung oder in einer Wellenbewegung. Es besteht letztendlich aus Atomen. Der Physiker Reinhard Schneider, Mitbegründer der physikalischen Radiästhesie, ist als Erfinder der Lecher-Rute in die Geschichte eingegangen. Die Lecher-Rute gilt als wichtigstes Messinstrument der physikalischen Radiästhesie.
Feinstofflichkeit und alle damit verbundenen Phänomene sind das Thema der mentalen Radiästhesie. Hier werden Phänomene wie der Energiekörper oder Fernwirkungen von Strahlen oder Gitternetzen untersucht. Die Untersuchung der Aura oder der Chakren wird unterscheidend als „odische“ Radiästhesie bezeichnet, die Untersuchung der menschlichen Seele als “psychische” Radiästhesie.
Die seit dem Mittelalter bekannte Wünschelrute ist das markante Instrument der mentalen Radiästheten. Die modernen Versionen der Wünschelrute sind die Einhandrute – auch als Biotensor bekannt – und die bereits erwähnte Lecher-Rute.
Das zweitwichtigste Instrument der mentalen Radiästhesie ist das (siderische) Pendel. Radiästheten bezeichnen die Arbeit mit diesen Instrumenten als “muten”. Wer sich für die Radiästhesie interessiert, stößt früher oder später auch auf die sogenannten Bovis-Einheiten. Diese gehen auf den Radiästheten André Bovis (1871–1947) zurück. Sie bemessen den Anteil an Lebensenergie in Organismen, Ökosystemen oder Lebensmitteln. Auch diese Messeinheit, gemessen mit dem Bovismeter, gilt in der Wissenschaft als unseriös und nicht nachweisbar.
Fakt ist: Radiästhetische Erkenntnisse können mit den heutigen wissenschaftlichen Methoden noch nicht bewiesen werden. Dennoch sollte niemand einfach behaupten, dass es sie nicht gäbe. Oft genug haben Wissenschaftler späterer Jahrhunderte zugeben müssen, dass es eben doch Schwarze Löcher gibt oder die Erde keine Scheibe ist. Die Evolutionstheorien Darwins werden in manchen US-Bundesstaaten bis heute nicht als wissenschaftlich nachgewiesen und wahr angesehen.
Vor diesem geistigen Hintergrund müssen wir uns bewusst machen, dass der Erkenntnishorizont der Wissenschaft zu jeder Zeit von bestimmten Glaubensinhalten und Paradigmata abhing. Er wurde zudem von Macht-Instanzen wie Kirche, Politik oder Lobbys beeinflusst. Passte etwas nicht in diesen Erkenntnishorizont hinein oder konnte (noch!) nicht mit den bekannten Methoden bewiesen werden, galt es als Blasphemie, Scharlatanerie, Hexerei oder Lüge.
Selbst die Relativitätstheorie eines Genies wie Albert Einsteins konnte erst nach sehr langer Zeit durch Fakten belegt werden. Vieles hat sich geändert – aber die Verteufelung aller Erkenntnisse, die bisher nicht bewiesen werden können, ist anscheinend noch immer dieselbe.